Am Vatertag fliege ich nach Venedig um mich von dort per Mietwagen auf zum Boot zu machen. Es soll am morgigen Freitag ins Wasser gekrant werden, bevor die Familie am Samstag nachkommt. Ich will hier das Wochenende nutzen um das Boot klar zu machen damit wir keine wertvollen Urlaubstage unseres nur zweiwöchigen Pfingsturlaubs vergeuden und am Montag direkt in See stechen können. Hier treffe ich auch einen Bekannten, der sein Boot seit vielen Jahren in Monfalcone liegen hat. Mit seiner helfenden Hand verhole ich das Boot an den Steg und putze stundenlang Laub und Dreck von Deck. So dreckig habe ich Zanzibar in all den Jahren tatsächlich noch nie gesehen. Anschliessend schlagen wir Vor- und Grosssegel an und ich ersetze das vom UV-Licht stumpf gewordenes Display unseres Tiefenmessers. Der Tausch des Impellers erfolgt gerade noch rechtzeitig. Einer der Gummiflügel hängt nur noch am berühmten seidenen Faden…
In diesem Urlaub wollen wir weniger Strecke im Richtung Slowenien und Kroatien machen und planen unser Boot im nur etwa 60 Seemeilen weiter südlich gelegenen Pula bis zu unserem Sommerurlaub „zwischen zu parken“.
Der Plan war ja eigentlich zwischen Christi Himmelfahrt und Pfingsten eine Auszeit von der in den Endzügen liegenden Sanierung unseres neuen Eigenheims zu nehmen und uns auf dem Boot etwas zu erholen.
Doch wieder einmal kam alles anders: Nachdem es in den letzten Wochen in Italien ungewöhnlich trocken war und ich schon Sorge hatte, die ohnehin geringe Wassertiefe in einigen Häfen auf unserer Route in Richtung Norden könnte zu gering ausfallen, hat das Wetter in den letzten Tagen und Wochen völlig verrückt gespielt und an vielen Orten an der italienischen Adria kam es zu Überflutungen. Jedenfalls wurde unsere Zugverbindung zwischen Mailand und Ancona, die teilweise direkt an der Küste entlang führt gestern Nacht abgesagt. Kurz vor unserer Abreise haben wir daher heute morgen Plätze in einem Flixbus von Bologna nach Ancona gebucht. Jetzt müssen wir unterwegs nur noch einen Transfer von Mailand nach Bologna organisieren… zuviel Abenteuer für meinen Geschmack, und das bereits zu Beginn des Urlaubs.
Zu Beginn der Reise klappt alles noch wie am Schnürchen. Auf die Schweizer Bahn ist Verlass und wir erreichen unseren ersten Umsteigebahnhof in Lugano wie geplant. Von dort aus geht es in überfüllten und verspäteten Zügen weiter nach Mailand. Mit dem Bummelzug tuckern wir anschließend weiter nach Bologna wo wir von unterwegs über das Smartphone ein Hotel für die Nacht gebucht haben.
Immerhin steht Abends leckere Pasta und Pizza im “Il Veliero” (Das Segelboot, wie passend) einer nahen Pizzeria auf dem Speiseplan.
Freitag:
Am nächsten Morgen lassen wir unser Gepäck im Hotel und kaufen vor unserem Streifzug durch die historische Altstadt zunächst einen Regenschirm. Es schüttet! Wir schlendern unter den Arkaden von Cafe zu Cafe und sitzen trotzdem über 2 Stunden vor der geplanten Abfahrt unseres Busses am Busbahnhof. Immerhin kommt Annika nach Schokocroissant und Minidonut tagsüber zu ihrem erste Eis des Urlaubs. Und natürlich: Unser Bus hat über eine Stunde Verspätung: Statt einer späten aber humanen Ankunftszeit um viertel nach neun sollen wir nun erst gegen halb elf an unserem Ziel in Ancona ankommen 😩.
Doch es wird noch später: Kaum aus Bologna raus, stehen wir in einem 20 km langen Stau und kommen so erst gegen halb 3 Nachts in Ancona an. Ein einzelnes Taxi bedient die Fahrgäste. Doch wir haben Glück und sind um kurz vor 3 tatsächlich am Boot und sinken in die Kojen…
Der Luxus des Tages besteht im Aufwachen ohne Wecker. So viel Luxus muss am letzten Törntag sein. Zumal die Strecke heute mit um die 30 Meilen für unsere aktuellen Verhältnisse recht kurz ist. Als wir dennoch viel zu früh aufwachen, ist es immer noch neblig. Wir tingeln mit dem Kanister zur Bootstankstelle, die in einem für uns zu flachen Bereich des Hafens liegt und bunkern 20 Liter Diesel. Wir wollen heute auf Nummer sicher gehen, denn auch heute ist Wind von vorn angesagt. Beim Schnack an der Tanke meint ein anderer Kunde, der Nebel sollte sich in 1-2 Stunden verziehen. Nun gut, dann warten wir ab.
Wir warten und warten, nichts! Die Sonne kommt, dennoch kann man von unserem Liegeplatz aus kaum die Hafeneinfahrt ausmachen. Gegen elf Uhr fassen wir uns ein Herz und legen trotz Nebel ab.
Wie schon bei unserer Nachtfahrt nach Roccella Ionica bin ich froh, dass ich unser defektes Radardisplay durch ein bei eBay ergattertes Ersatzteil ersetzt hatte. Wir sehen Fischerboote und Tonnen bei Sichtweiten von teilweise nur rund 30m ausschließlich auf dem Radarbildschirm. Irgendwie gruselig.
Irgendwann verschwindet der Nebel doch und der uns entgegen kommende Wind frischt auf. Wieder nichts mit Segeln. Immerhin sind die Bedingungen deutlich moderater als gestern.
Wir gondeln die Küste hoch und schlängeln uns am Verkehrstrennungsgebiet vor Brindisi vorbei. Dabei beobachten wir ein anderes Boot auf dem AIS, welches die dort geltenden Regeln etwas flexibler interpretiert 😅
Nachdem wir bei frischem Wind angelegt haben, liegen wir geschützt aber durch die unmittelbare Nähe zum Flughafen recht laut in der Marina di Brindisi. Wir haben bis zu unserer Anreise nun 2 Tage Zeit das Boot klar zu machen, das bis zu unserem Sommerurlaub Mitte Juli hier auf uns warten soll.
An Tag 1 motten wir Bimini, Sprayhood und Solarzellen ein und waschen unsere Wäsche. An Tag 2 geht es früh morgens in den Mast um unsere elektronische Windfahne zu demontieren. Sie hatte den ganzen Urlaub über nicht funktioniert. Saharastaub der im Winterlager in Marina di Ragusa regelmässig herüber wehte, hatte sich im Drehmechanismus abgelagert und diesen blockiert. Die Windstärke wurde uns zwar noch angezeigt, die Windrichtung jedoch nicht. Nach einer gründlichen Reinigung und Behandlung mit Silikonöl dreht sich der Richtungsanzeiger wieder und sollte (nach einer Kalibrierung auf See) die Richtung nun wieder anzeigen. Getestet wird das dann aber erst im Sommerurlaub im Juli.
Ausserdem machen wir an Hafentag 2 einen Ausflug in die Stadt. Praktischerweise hält der entsprechende Linienbus direkt vor der Marina.
Um kurz nach fünf schrecke ich auf: Oh Gott, es ist hell! Ich habe verschlafen, wir wollten doch früh los! Kurze Zeit später die Entwarnung, der Wecker klingelt. Noch schlaftrunken torkeln wir durchs Schiff und sind uns sicher: Überführungscrew wäre kein Job für uns. Mit Urlaub hat dieser Törn definitv nichts zu tun. Aber es hilft nichts, wir wollen heute um die Ferse in die Adria.
Leider kämpfen wir uns auch heute wieder durch die Flaute. Wenigstens passieren wir nach etwa einer Stunde endlich einen „Punta del Pizza“. 🤣. Es geht weiter vorbei an Santa Maria di Leuca und in die Adria. Der „Rückweg“ ist offiziell gestartet. Nun kommt auch Wind auf. Wir versuchen zweimal die Segel etwas zur Hilfe zu nehmen, aber es klappt nicht, der Wind kommt zu sehr von vorn. Kreuzen? Wieder mal wegen der Etappenlänge keine Option
Auf dem Weg zu unserem Tagesziel in San Foca spielen wir mit Annika im Cockpit stundenlang „Ich sehe was, was Du nicht siehst“. Alles ganz lustig und entspannt. Bis wir unseren Kurs nach Nordwest einschlagen: Aus dem Kanal von Otranto blasen uns urplötzlich statt der angesagten drei Beaufort deren sechs entgegen und die Welle ist kurz und unangenehm. Diese Erfahrung hätten wir gegen Ende unseres Trips nun wirklich nicht mehr gebraucht. Wir versuchen dichter unter Land zu fahren. Es hilft nichts. Wir kommen kaum mehr vorran. Stellenweise machen wir unter 3 Knoten. Wir erhöhen die Motordrehzahl und ärgern uns: Am Vorabend hatten wir uns entschlossen nicht zu tanken, damit „der Diesel auch mal verbraucht wird“. Jetzt ist uns schon ein bisschen mulmig mit nur einem viertel Tank bei diesen Bedingungen. Nachdem sich die Gemüter etwas beruhigt haben, tagt der Familienrat: Sch… auf unsere Reservierung in San Foca, wir laufen Otranto an und ersparen uns so zwei zusätzliche Stunden Höllenritt. Doch auch nach Otranto sind es noch 2,5 Stunden. Da müssen wir jetzt durch!
Durch ziemlich viel Müll motoren wir weiter. Immer wieder gilt ein banger Blick des Skippers der Tankanzeige: 1/4 voll, aber wie genau ist das? Hinter uns liegt kein Hafen in vernünftiger Reichweite. Warum haben wir bloss in Gallipoli nicht getankt? Irgendwann verfängt sich eine Art Bambusstab am Heck des Bootes. Haben wir ein Fischerfähnchen überfahren oder ist das einfach nur Treibgut? Jedenfalls kann bei diesen Bedingungen sicher niemand auf der Badeplattform versuchen das Teil zu entfernen.
Als wir kurz vor der Hafeneinfahrt die Fender ausbringen löst sich das Problem zum Glück von selbst…
Als wir ums Kap sind beruhigen sich die Bedingungen etwas. Da Tatjana in Otranto niemanden erreicht, beschließen wir doch weiter nach San Foca zu fahren. Die 2 Stunden schaffen wir noch. Ausserdem hätten wir jetzt mit Otranto einen Hafen als Backup im Rücken und unsere letzte Etappe morgen würde 10 Meilen kürzer ausfallen.
Der Hafen von San Foca ist flach, aber durch einen Wellenbrecher erstaunlich gut gegen nördliche Winde geschützt. Nach dem problemlosen Anleger würden wir hier in Abrahams Schoß nie vermuten was „da draußen“ los ist.
Nachdem wir sichergestellt haben, dass wir vor unserer Abfahrt morgen 20l Diesel im Kanister bekommen, gibt es einmal mehr Pasta an Bord. Zum Abschluss des Urlaubs wird in Brindisi bereits von Restaurantbesuchen und Erdbeereis (Annika) geträumt…
Kurz nach dem Abendessen zieht tatsächlich dichter Nebel auf und wir sind froh: Es hätte auch noch schlimmer kommen können 😉
5:05 Crotone abgelegt. Unser erster Logbucheintrag des Tages klingt so gar nicht nach Urlaub. Irgendwie fühlt sich unser Pfingsttörn auch eher wie eine bezahlte Überführung an (zumindest stelle ich es mir das so vor). Wir passieren in der Morgendämmerung die unbeleuchtete Gasplattform Luna A und setzen kurze Zeit später motiviert das Grosssegel. Doch wieder herrschen nur leichte Winde von vorn. Dann wird das Segel eben nur gelüftet 😜
Wir motoren die nächsten Stunden durch den Golf von Taranto und sind uns sicher, dass unsere Etappen im Sommerurlaub in der Adria wieder deutlich kürzer werden sollen. Knapp hinter uns teilen zwei weitere Segler uns Schicksal: Freyr (227390510) und Tocade (228089130) sind heute unsere Flauten-Leidensgenossen.
Etwa ab halber Strecke lohnt sich unser Durchhaltevermögen und wir können tatsächlich segeln (und auch gleich unsere Reffleinen testen). Leider ist die Tagesetappe zu lang, als dass wir den Motor komplett ausschalten könnten. Er schiebt mit.
Nachmittags haben wir dann doch ein sehr mulmiges Gefühl, als wir auf Kanal 16 Bruchstücke des Funkverkehrs zu einem Seenotfall mitbekommen, in den wohl ein Boot verwickelt ist, das noch in Roccella Ionica am selben Steg lag wie wir.
Wir backen zur Ablenkung zum Mittagessen erneut ein Brot und vermuten, dass die Trockenhefe die Hitze im letzten Sommer eventuell doch nicht ganz unbeschadet überstanden hat. Egal, motoren macht fast so hungrig wie segeln 😜
Da der Gästepontoon im eigentlich angepeilten Etappenziel Santa Maria di Leuca aktuell wegen Bauarbeiten gesperrt ist, halten wir Kurs auf das etwas weiter nördlich liegende Gallipoli. Wir sind nun in der Region Apulien angekommen. Die Adria und somit unser „Rückweg“ ist zum Greifen nah. Nur noch einmal um die Ferse…
Wir sind ziemlich kaputt, wir verlassen den Schwimmsteg an dem wir angelegt haben nicht. Es gibt keim Bild vom Boot, nur ein schnelles Nudelgericht und ab ins Bett. Wir sind uns einig: So machen wir das nicht mehr. Natürlich kann man im Eiltempo um dem Stiefel segeln (bzw. motoren), von Land und Leuten bekommt man dann allerdings nichts mit.
Wieder brechen wir früh auf (5:30 Uhr). Erholungsurlaub sieht irgendwie anders aus. Aber es hilft nichts: Der Weg in die Adria ist lang. Die Tagesetappen aufgrund der grossen Distanzen zwischen geeigneten Häfen ebenso. Als wir Roccella Ionica verlassen, steht ein hoher Schwell vor dem Hafen. Vorhergesagte mögliche Gewitter und bedrohlich dunkle Wolken an Backbord sorgen bei einigen Crewmitgliedern für Unbehagen. Bei anderen zumindest für Anspannung.
Als wir nach etwa zwei Stunden Punta Stilo querab haben, fängt es an zu tröpfeln. Die Welle ist unangenehm. Hoher Schwell vom Vortag kommt im Vergleich zum wenigen Wind genau aus der entgegengesetzten Richtung. Nach einiger Zeit können wir die Genua zur Hilfe nehmen und motorsegeln über den Golfo di Sqillace. Segeln ohne Motorunterstützung ist aufgrund der Etappenlänge und der Tatsache, dass zumindest Annika abends wenigstens noch einen kurzen Landausflug/Abendspaziergang braucht nicht drin. Als wir Capo Rizzuto runden sehen wir die vielen Windkraftanlagen, die in diese windreichen Topographie (direkt hinter der Küstenlinie türmen sich Berge auf) umweltfreundlich für Strom sorgen.
Wir passieren das vorgelagerte Naturschutzgebiet, dessen Begrenzungstonnen nicht alle an den erwarteten Positionen liegen und steuern unseren Zielhafen Crotone an, der in einer Bucht mit vier Gasplattformen liegt. Wie romantisch 😉. Trotz ordentlich Wind klappt der Anleger wie am Schnürchen und wir liegen kurze Zeit später am Schwimmsteg des örtlichen Yachtclubs.
Da man am späten Sonntagnachmittag wohl keine Lust auf Papierkram hat, bittet man uns, die Anmeldeformalitäten erst morgen zu erledigen. Auch gut! So kommt Annika nach dem Aperitif zu Ihrem Spaziergang zum Molenfeuer. Am Hafentag erkunden wir das wenig touristische Örtchen und finden beim örtlichen Metzger erneut Salsicca zum abendlichen Grillen an Bord. Ausserdem stattet uns die Guardia Finanza einen Besuch an Bord ab und kontrolliert unsere Papiere.
Nach einem ruhigen Morgen wird es nach etwa 20 Seemeilen, als wir beginnen die Zufahrt zur Straße von Messina zu queren etwas lebhafter: Wir müssen zwei großen Frachtschiffen ausweichen. Auch am Funkverkehr merkt man, was für eine verkehrsreiche Meerenge hier querab liegt. Wir lassen den aufgrund des diesigen Wetters nur unscharf zu erkennenden Ätna an Backboard liegen und motorsegeln mit etwa 6 Knoten dem italienischen Festland entgegen. Läuft bisher eigentlich alles wie am Schnürchen. Wenn es weiter so flutscht, sollten wir unser Etappenziel Roccella Ionica in den frühen Morgenstunden erreichen. Noch unklar ist uns indes, wie wir uns nach der geplanten ersten Nachtfahrt mit Kind dann wieder bestmöglich erholen…
Nach dem Abendessen kommt bei Einbruch der Dunkelheit kurz ein Delfin vorbei und jagt uns einen gehörigen Schrecken ein. Im Halbdunkeln halten wir ihn im ersten Moment für einen Wal 😉 Wir rollen die Genua weg. Zum Einen ist der Wind eingeschlafen, zum Anderen herrscht noch immer reger Verkehr und wir wollen uns voll und ganz auf den Ausguck konzentrieren. Vor den vielen Lichtern der bebauten Festlandküste fällt es uns schwer, die Navigationslichter der per AIS und dem erstmals ernsthaft verwendeten Radar sichtbaren Schiffe auszumachen. Ein extrem anstrengender Beginn der Nacht. Zum Glück wird es, als wir die Hauptschifffahrtslinie gequert haben, nach etwa zwei Stunden etwas ruhiger.
Annika spürt wohl insgeheim die Anspannung Ihrer Eltern und wacht bereits kurz nach Mitternacht auf. Sie will partout nicht mehr schlafen und so ist ab sofort meist einer von uns mit der Kinderbetreuung beschäftigt. Unsere Müdigkeit wird größer und größer und wir beide sehnen die Morgendämmerung herbei als plötzlich ein Boot in einem Affenzahn auf uns zu rast. Piraren? Hier??? Nur einen Augenblick später wird zunächst unsere Gastlandflagge an- und anschließend unsere Gesichter mit einem Suchscheinwerfer ausgeleuchtet. Die Guardia Finanza möchte wissen wo wir hin wollen und wieviele Personen an Bord sind. Die Dunkeladaption unserer Augen ist dahin und wir fragen uns, warum man diese Fragen einem Boot, das ein AIS Signal aussendet nicht per Funk stellt und es stattdessen derart zu erschreckt 🙄🤪…
Gegen viertel nach fünf wird es endlich etwas heller und wir werfen etwa 1 Meile vor unserem Zielhafen den Anker. Noch eine Premiere! Vor Anker habe ich mich mit Zanzibar noch nie schlafen gelegt. Nach dem ersten Kaffee und einer Runde Schwimmen vom Boot aus für Tatjana, legen wir gegen halb elf nach 120 Seemeilen an einem Fingersteg im Porto delle Grazie in Roccella Ionica an: Was für ein Abenteuer!
An unserem Hafentag laufen wir in den etwa drei Kilometer entfernten Ort um Annikas Bewegungsdrang auf einem Spielplatz zu befriedigen und decken uns beim örtlichen Metzger mit Salsicca ein, die abends auf den Heckkorbgrill wandern.
Unsere Abreise aus Malta gestaltet sich etwas schwieriger als die Einreise zwei Tage zuvor. Aufgrund eines einlaufenden Kreuzfahrers und einiger anderer Schiffsbewegungen im Hafen müssen wir nach dem Ablegen eine halbe Stunde warten, bis wir tatsächlich los dürfen.
Dann aber passieren wir die beiden Molen und setzen bereits kurze Zeit später unsere Genua. Motorsegelnderweise geht es unserem Tagesziel Marzamemi auf Sizilien entgegen. Zwar ist es immernoch schwach windig, jetzt passt aber wenigstens der Windwinkel etwas besser und die Genua lässt uns etwa 1 Knoten schneller vorran kommen.
Unterwegs passiert sonst nicht viel und wir können uns um Annika kümmern, die bei einer solch langen Etappe bei Laune gehalten werden will.
Gegen 17 Uhr erreichen wir unser Tagesziel in Marzamemi. Hier waren wir bereits im Vorjahr so dass wir auf einen Besuch im durchaus sehenswerten Städtchen verzichten. Wir füllen unser 20 Liter Diesel aus dem Kanister in den Tank um und bestellen mit Hilfe der Hafenangestelten Pizza. Die von uns fürs Abendessen angedachte Pizzeria hat nämlich tatsächlich auch Ende Mai noch zu und öffnet nur zur Hochsaison (schwer vorstellbar wenn man den aktuellen Zustand der Barracke sieht).
Gedanklich sind wir bereits bei der uns morgen bevorstehenden Nachtfahrt, die uns von Sizilien ins 115 Seemeilen entfernte und an der Stiefelsohle liegende Roccella Ionica bringen soll. Das wird spannend. Wir wollen erneut relativ früh aufbrechen, um bei Einbruch der Dunkelheit die verkehrsreiche Straße von Messina bereits passiert zu haben. Für das fast bei Neumond geplante Abenteuer kommen uns die weiterhin vorhergesagten leichten Winde gerade Recht. So müssen wir uns Nachts nicht auf noch ums Segeln kümmern und können uns vermutlich voll und ganz auf den Ausguck konzentrieren.
Nachdem der Segelmacher am Sonntag doch noch kam und unser Reffleinenproblem kostenlos(!) behoben hatte, ging es heute morgen um 20 nach 6 fast pünktlich (wir hatten 6 Uhr geplant) los in Richtung Malta. Laut Vorhersage sollten uns moderate 10 Knoten Wind von vorn erwarten. Vielleicht ist eine Motorüberführungsetappe zu Urlaubsbeginn aber ohnehin keine schlechte Idee. Während Annika anfangs noch schläft, motoren die Eltern stundenlang in Richtung Süden. Als dann alle wach sind gibt es (für uns das zweite) Frühstück und Annika entdeckt die diversen Sitzgelegenheiten an Bord neu. Sie mag die Lifeline immer noch nicht.
Bei grenzwertig wenig Wind von vorn kommen wir gut vorran und ich übe mich als Vorbereitung auf die geplante Nachfahrt in Geduld indem ich versuche nur einmal pro Viertelstunde einen Rundumblick zu machen. Für einen Kontrollfreak gar nicht so einfach 🤷🏻♂️
Etwas später empfangen wir den ersten „überraschenden“ Funkspruch auf Kanal 16 der für verdutzte Gesichter und etwas Aufregung an Bord sorgt. Eine polnische Segelyacht segelt genau auf Gegenkurs von Malta aus nach Marina di Ragusa, hat uns auf dem AIS gesehen und will einfach kurz Hallo sagen. Wie nett!
Als wir nachmittags in die 12 Meilenzone Maltas einlaufen melden wir uns vorschriftsmässig bei Valletta Port Control an. Wir dürfen weiter und sollen uns am Breakwater erneut melden. Machen wir. Auch hier dürfen wir umgehend weiter. Soviel Verkehr ist hier heute gar nicht. Zum Schluss müssen wir aber doch nich warten. In der Marina ist man mit dem Anlegen einer Superyacht beschäftigt, die das Molenfeuer deutlich nach uns passiert. Naja, „money talks“.
Schliesslich legen wir an einem Fingersteg an und haben es tatsächlich geschafft: Malta! Nachdem uns zunächst Corona und dann meine Bedenken als verhinderter Einhandsegler im Herbst einen Strich durch die Rechnung gemacht hatten, sind wir im 3. Anlauf nun hier und liegen inmitten einer imposanten Kulisse in der Grand Harbour Marina.
Nach ein paar schnellen Nudeln zum Abendessen fallen wir in die Kojen und sammeln Kraft für den morgen geplanten Stadtbummel. Am Mittwoch soll es nämlich bereits wieder zurück nach Sizilien gehen.
Segeln mit einem weitgehend immobilen Säugling ist verhältnismässig einfach: Man sorgt für eine sichere Unterbringung des Kindes und los geht’s. Sobald die Kleinen dann jedoch anfangen zu Krabbeln oder Laufen wird das Unterfangen ungleich schwieriger. Aber auch für diese Herausforderung haben wir uns allerhand einfallen lassen um die Umgebung und den Aufenthalt an Bord für unseren Nachwuchs so angenehm wie möglich zu gestalten:
Zunächst haben wir 2020 ein Relingsnetz installiert.
Da unser Boot nicht über eine gelochte Fussreling verfügte und ich keine zusätzlichen Löcher bohren wollte, haben wir für die Netzunterkante einen zusätzlichen Relingsdraht gespannt (was uns ein Feature in der Zeitschrift Yacht einbrachte ;-))
Artikel in der Yacht 10/21
Ausserdem haben 2021 mit einem Kinder-Sicherheitsgurt/Lifebelt von Baltic und einem über eBay erstandenen Sea-Swing dafür gesorgt, dass Annika auch im Cockpit sicher ist. Vorallem bei An- und Ablegemanöver macht der Sitz der in die Winsch gesteckt wird einen riesen Unterschied. Annika kann jetzt im Cockpit genau sehen, was Mama und Papa da so treiben. Früher hatten wir sie für diese Manöver im Salon geparkt, was regelmässig mit Geschrei endete und unseren Stresslevel bei diesen Manövern nicht unwesentlich erhöhte:
Inzwischen setzen wir Annika vor dem Ablegemanöver in den Sea-Swing und stellen sie mit einem „Ablegekeks“ ruhig. Sobald wir aus dem Hafen raus sind wird sie mit dem Lifebelt an einer der Ösen im Cockpit eingeklickt und kann auf dem Schoss im Cockpit sitzen und Delfine oder Möwen beobachten.
Zusätzlich zum bewährten Autositz auf einer selbstgezimmerten Isofixhalterung hatten wir am Salontisch schon 2020 einen ansteckbaren Kindersitz. Dieser hat sich zum Essen durchaus bewährt (auch wenn wir beim nächsten Mal eine dunklere Stofffarbe wählen würden ;-)).
Eine Art quer zur Fahrtrichtung aufgespanntes „Lee“-Segel verhindert, dass Annika aus der Vorschiffskoje fällt.
Einzig ein klappbarer Minilaufstall (den ich extra an die eingeschränkten Platzverhältnisse an Bord angepasst hatte) hat sich an Bord als eher unpraktikabel erwiesen. Er flog quasi unbenutzt wieder raus (eine Hälfte haben wir vorerst als potentielles Schutzgitter für den Niedergang noch behalten).