Zum Segeln kam ich wie die sprichwörtliche Jungfrau zum Kind.
Frühkindliche Urlaubserinnerungen an Italien, vermutlich an den Lago Maggiore an dem ich als kleiner Stepke auf einem schnittigen Schweizer Motorboot mitfahren durfte (und zwischenzeitlich Angst hatte, der Bootseigner würde mich entführen wollen) sorgten bei mir schon in ganz jungen Jahren für eine Faszination für Boote und den Wassersport. Familiär bin ich jedenfalls nicht vorbelastet: Niemand sonst aus meiner Familie frönt dem Wassersport. Um neben dem Denksport an der Uni einen Ausgleich zu haben, legte ich während meines Studiums in Freiburg im Breisgau bei einer örtlichen Sportbootschule den SBF See(!) ab. Die zugehörige praktische Prüfung im Motorboot fand auf dem Rhein bei Breisach statt.
Nach einer Ergänzungsprüfung in einem stickigen Landratsamt am Bodensee durfte ich anschliessend sogar auf diesem trinationalen Gewässer mein Unwesen treiben. Bis auf einen Ausflug mit einem ohnehin führerscheinfreien Elektrobötchen am Prüfungswochenende, war ich seither jedoch nicht mehr auf dem Bodensee unterwegs. Mein Plan war vielmehr, durch Umschreibung des Bodenseeschifferpatents in den SBF Binnen (unter Motor) auch auf anderen deutschen Binnenseen aktiv werden zu können. Den Segelteil der Bodensee-Theorieprüfung schenkte ich mir damals, da ich ohnehin keine praktische Prüfung unter Segeln abgelegt hatte und mir auch nicht vorstellen konnte, dass mich Segelboote jemals ähnlich (oder mehr) faszinieren würden, als es die schicken Megayachten taten, die ich aus dem Urlaub an der Cote D’Azur kannte.
Bei einem ersten Besuch auf der Boot in Düsseldorf durfte ich dann erstmals mit dem Auftreten und Selbstverständnis der „Vertreter“ der Motoryachtfraktion Bekanntschaft machen: Sehr sympathische Zeitgenossen. Auf die beeindruckendsten Boote kam mit nur mit Einladung/Termin. Oft wurden wir mit „Alles ausgebucht“, „Leider erst am Mittwoch wieder was frei“ abgebügelt (was bei einem zweitägigen Wochenendbesuch natürlich eher schlecht ist). Auch bei mittelgrossen Booten spielten sich die „Verkäufer“, und oft auch schon die Hostessen auf, als wolle man die Kronjuwelen ausserhalb der Vitrine sehen.
Ganz anders bei den Seglern: Das waren Menschen wie Du und ich mit einem Faible für den Wassersport und einem deutlich kleineren Ego[1]. Hier fühlte ich mich deutlich wohler. Hinzu kam, dass meine Freundin Tatjana Segelboote ohnehin faszinierender fand, als die Motoryachten für mindestens zweistellige Millionenbeträge, die es mir angetan hatten.
So kam es, dass ich mich im Jahr meines Universitätsabschlusses zu meinem ersten Segeltörn im Mittelmeer überreden lies. Anfang Oktober 2010 hatten wir eine Koje auf einer Segelyacht auf Elba gebucht. Anschliessend wollten wir eine weitere Woche an Land verbringen und nach einem entsprechenden Manöverkurs die praktische SKS Prüfung ablegen (Tatjana hatte extra zu diesem Zweck kurz vorher als Ferienkurs den SBF See auf Rügen absolviert). Zwar war ich einer der wenigen Teilnehmer dieses ersten Törns, der nicht seekrank wurde (immerhin!), ich hatte jedoch total unterschätzt was „segeln“ bedeutet. Das Konzept der Krängung war mir bis dato völlig unbekannt und ich verkrampfte zunehmends beim Versuch mich irgendwo im Cockpit festzuhalten. Nach meiner Promotionsprüfung und einer damit einhergehenden anstrengenden und intensiven Vorbereitungszeit in der Bibliothek, hatte ich mir ein laues Lüftchen und kristallklares Wasser vorgestellt. Ich wollte einfach mal die Seele baumeln lassen.
Es kam anders: Schon auf der ersten Etappe hoch am Wind von Portoferraio nach Capraia wurde es richtig ungemütlich. Wir strichen letztlich die Segel, fielen ab und kehrten nach Marciana Marina auf Elba zurück. Ich hatte ziemlich Schiss und hatte kurzzeitig bereits mit meinem Leben abgeschlossen. Worauf hatte ich mich da nur eingelassen? Meine tatkräftige Unterstützung des Skippers bestand überwiegend darin hier und dort zu ziehen oder zu fieren. Wirklich Ahnung was ich da tue hatte ich nicht. Und ich wollte in weniger als 2 Wochen die praktische SKS Prüfung ablegen? Ein Vorhaben dass mir inzwischen weniger kühn sondern schlicht vermessen vorkam.
Doch der erste Segeltag blieb der schlimmste (was übrigens auch für viele der noch folgenden Törns galt, am ersten Tag wurden wir noch häufig ziemlich geprügelt). Wir segelten anschliessend von Elba über Capraia und weiter nach Korsika. Wir genossen das Leben in den Marinas und die kulinarischen Genüsse in den lokalen Restaurants (unser Skipper war ein ausgewiesener Revierkenner: Er wusste genau, bei welchen Restaurants sich ein Besuch lohnte).
Tatsächlich bestanden wir im Anschluss an unseren allerersten Segeltörn, nach einer weiteren Übungswoche die praktische SKS Prüfung. Skipperkarriere ich komme…
Ganz so schnell ging es letztlich dann doch nicht. Aufgrund meines Einstiegs ins Berufsleben schafften wir es in den geforderten 2 Jahren leider nicht, die doch recht umfangreiche SKS Theorie zu verinnerlichen und die entsprechende Prüfung abzulegen.
Infiziert vom Segelvirus sammelten wir jedoch weitere Seemeilen durch Kojencharter-Törns. Erklärtes Fernziel blieb, als Paar irgendwann ein Boot chartern zu können und damit die traute Zweisamkeit und romantische Sonnenuntergänge an Bord geniesen zu können.
So absolvierten wir 2014 schliesslich den britischen Dayskipper, der uns doch deutlich praxisnaher erschien als die deutsche SKS Ausbildung. Für mich mindestens ebenso wichtig war, dass dieser „Fähigkeitsnachweis“ formal ausreichte um ein Segelboot zu charten. Während der praktischen Ausbildung in der Straße von Gibraltar erlebte ich zum Ersten mal, wie es ist nachts zu segeln, die grossen schwarzen Wellen wirkten beängstigend aber faszinierend zugleich. Auch Gezeiten galt es hier erstmals zu berücksichtigen.
Direkt im Anschluss an diesen Ausbildungstörn charterten wir ein Boot auf Mallorca. Allerdings wollten wir auf Nummer sicher gehen und buchten das Boot mit Skipper. Auch wenn es rechtlich bzw. versicherungstechnisch bereits möglich gewesen wäre: Ich fühlte mich noch nicht bereit alleine die Verantwortung für ein Schiff zu übernehmen. Und so schipperten wir zu dritt durch die Balearen. Leider störte der Skipper bei romantischen Sonnenuntergänge an Bord genauso wie bei gemeinsamen Restaurantbesuchen. Das musste sich ändern…
Um mehr Erfahrung (auch bei viel Wind) zu sammeln buchte ich mich über Ostern 2015 auf einem Schwerwetter Törn auf der Ostsee ein. Richtig schweres Wetter hatten wir nicht, aber es war furchtbar kalt (auch weil die Diesel-Heizung an Bord nicht wirklich zuverlässig funktionierte). Trotzdem war klar: Wir wollten nicht bis zur Rente warten um unsere Segelträume zu verwirklichen. Ein eigenes Boot sollte her, um auch abseits des jährlichen Sommerurlaubs nahe unseres Wohnortes in der Schweiz segeln zu können. Ich meldete mich also für einen Feriensegelkurs im Engadin an, der mit der Prüfung zum Schweizer D-Schein enden sollte an (der deutsche Motorschein wurde glücklicherweise anerkannt, so dass hier keine erneute Prüfung notwendig war) und wir kauften Boomerang, ein rund 40 Jahre altes und gut 8 Meter langes Refit-Objekt am Neuenburgersee.
Im gleichen Sommer nahmen wir zu zweit an einer Sunsail-Flotille im ionischen Meer in Griechenland teil. Dies schien uns unserem bisherigen Erfahrungsstand angemessen. Wir könnten die Tage in trauter Zweisamkeit segeln und hätten am späten Nachmittag die Hilfe der Begleitcrew beim Anlegen im Zielhafen. Warum Flotillen zwar in England sehr beliebt (wir hörten erstmals im Rahmen unserer Dayskipper Ausbildung in Gibraltar davon), in Deutschland aber ein Schattendasein fristen, ist uns bis heute ein Rätsel. Nach dem Griechenlandurlaub war endgültig klar: Segeln war mein Ding. Nirgendwo konnte ich derart schnell vom Arbeitsalltag abschalten und mich entspannen.
Einige Jahre im Hamsterrad von Big Pharma vergingen und in mir wuchs der Wunsch nach einem längeren Törn. Die zahlreichen Wochenende auf dem eigenen kleinen Boot am Neuenburgersee wurden zu wenig. Warum sollte ich immer nur die Bücher anderer verschlingen, die es gewagt hatten? Warum sollte ich es nicht wie Erdmann (jung oder alt), Dwersteg, Röttgering und Co. einfach selbst versuchen?
Wo sollte es hingehen? Auf der Barfussroute um die Welt? Über den Atlantik? Da es mir widerstrebte sämtliche Zelte abzubrechen, reifte in mir der Entschluss für einen anderen, innereuropäischen Törn: Rund Italien! Eventuell wäre dieser rund 1200 Seemeilen lange Törn rund um die italienische Halbinsel (z.B. von Venedig nach Genua) ja sogar auf mehrere Etappen aufteilbar und so besser mit dem Berufsleben zu vereinbaren.
Allerdings schien der eigene Kielschwerter vom Binnensee aufgrund seines Alters und vermutlich nicht wirklich vorhandener Schwerwetterqualitäten für ein solches Vorhaben ungeeignet.
Absurde Gedanken kamen auf: Wäre ein zweites Boot finanziell zu stemmen und vorallem: Wäre das vertretbar? Ich beschäftigte mich kurz mit der Option ein geeignetes Boot für einen längeren Zeitraum zu chartern. Angesichts der aufgerufenen Kosten von mehr als 14.000,- EUR für die angedachten 3 Monate, schien ein Kauf plötzlich doch wieder vernünftiger.
[1] Fairerweise muss ich zugeben, dass wir in den folgenden Jahren lernten, dass es herablassende Hostessen und Verkäufer durchaus auch an den Messeständen von Segelboot-Ausstellern gibt.